Wenn Versicherungen nicht zahlen

Freitag, den 14. Februar 2014 um 00:00 Uhr
Drucken

Wenn Versicherungen nicht zahlen

Die Versicherer zahlen jeden Tag Millionen an ihre Kunden und sind dennoch als Neinsager verschrien. Dagegen wehren sie sich vehement. Doch bei ihren Gegnern können sie so nicht punkten. Ein Pro und Kontra.

von Thomas Schmitt

Erschienen im Handelsblatt vom 14.02.2014

Der Stachel sitzt tief. Versicherer sehen sich selbst als die Guten in dieser Welt. Schließlich schützen sie ihre Kunden vor allem Unbill der bösen Welt. Öffentlich als Neinsager, Trickser oder Täuscher dazustehen, das können und wollen sie auf keinen Fall auf sich sitzen lassen. Schließlich sind gute Geschäfte mit  mit ihren Produkten auch nur möglich, wenn der Ruf gut ist und nicht lädiert.

Deshalb hat der Branchenverband GDV Anfang des Jahres eine Kampagne gegen Rechtsanwälte und Vereine von Unfallopfern gestartet. An der Spitze der Brancheninitiative steht Norbert Rollinger, der Vorsitzende des GDV-Hauptausschusses Schaden- und Unfallversicherung. In einem Beitrag, der auch als Podcast zu hören ist, erklärt er: „Warum Versicherer keine Leistungen verzögern.“

Der Grund dafür wird ganz offen genannt: In Medienberichten werde regelmäßig der Generalvorwurf erhoben, dass Versicherer Leistungen verzögern würden. Da sei jedoch nichts dran. Versicherer hätten vielmehr ein großes Interesse an schneller Schadenregulierung. Für deren Ablauf gebe es allerdings bestimmte Regeln, an die man sich halten müsse.

Handelsblatt Online hat kundigen Rechtsanwälten und Vertretern von Unfallopfern die Argumente der Branche vorgelegt. Deren einhellige Meinung: Der Manager redet am Thema vorbei. Er argumentiert mit Zahlen, die wenig aussagen. Außerdem könne er wohl gar nicht wissen, was bei Rechtsanwälten so alles auf dem Tisch liege.

Im Folgenden sind die wichtigsten Aussagen von Rollinger zusammengefasst. Anwälte und Vertreter von Unfallopfern legen ihre Gegensicht dar. Das Pro und Kontra zeigt: Das Thema „Leistungen für Unfallopfer“ wird die Versicherungswirtschaft weiter in Atem halten, auch wenn der Branche das ganz und gar nicht recht ist. Denn: Unfallopfer organisieren sich, und das immer besser.

Das ist auch kein Wunder: Schließlich geht es in den Fällen, bei denen am heftigsten gerungen wird, um sehr viel Geld – manchmal um Millionen. Und oft auch um unbeschreibliches Leiden. Da lohnt sich der Streit, auch vor Gericht und selbst dann, wenn das alles sehr nervenaufreibend ist und manchmal Jahrzehnte dauert. Wie die Versicherer sich wehren und was Unfallopfer dem entgegenhalten.


These 1: „Am Vorwurf ist nichts dran.“

Der Branchenverband veröffentlichte ein Interview, in dem sich der Versicherungsmanager Rollinger zur Regulierung der Branche äußert. Die erste Frage lautete: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, die deutschen Versicherer würden Zahlungen an ihre Kunden verzögern oder verweigern? „Da ist nichts dran“, antwortet der Manager, der bei der R+V-Gruppe arbeitet. „Schadenregulierung ist unsere Kernleistung, da wollen wir glänzen, da wollen wir im Wettbewerb unser Bestes geben.“

Das sehen Anwälte, die viele Fälle in diesem Bereich vertreten, ganz anders. So stellt der bekannte Opferanwalt Jürgen Hennemann fest: „Es kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass das seit vielen Jahren spartenübergreifend betriebene, sogenannte Schadenmanagement im Kern auch darauf abzielt, selbst begründete Entschädigungsansprüche systematisch zu verweigern oder zumindest nach Kräften zu verschleppen.“

Die Fachanwältin Beatrix Hüller, die auf das Thema Berufsunfähigkeit spezialisiert ist, urteilt ähnlich. „Meine jahrzehntelange Erfahrung und gerade die Praxis der Versicherer in den letzten Monaten zeigen, wie restriktiv die Versicherer leisten und wie lange es dauert, bis ein Versicherter überhaupt an die Berufsunfähigkeitsrenten kommt.“

Fazit: Die grundsätzlichen Positionen beider Seiten bleiben unvereinbar.


These 2: „Die Hochwasserkatastrophe ist ein gutes Beispiel.“

Die Versicherer untermauerten ihre Haltung am Beispiel der Hochwasserkatastrophe im Süden und im Osten Deutschlands. „Alle Versicherer bemühen sich sehr intensiv, die fast 200.000 Schäden, zwei Milliarden Euro Schaden, zügig zu regulieren“, stellte Rollinger fest. „Wir sind mit vielen Vorschüssen unterwegs, um schnell und unbürokratisch dem Kunden zu helfen. Bei uns gibt’s das Geld noch schneller als aus dem staatlichen Hochwasser-Fonds.“

Anwälte und Berater halten dieses Beispiel für schlecht gewählt. Der Grund: Ihnen geht es um Personenschäden in ganz anderen Versicherungssparten. Die Opferschützer kritisieren die Regulierung in der Haftpflicht und in der Versicherung gegen Berufsunfähigkeit. Rollinger spricht dagegen über die Versicherung von Sachen, wie Wohnhäuser oder Hausrat.

Anwalt Hennemann hält dieses Beispiel daher für ungeeignet, um die Vorwürfe der Opferschützer zu entkräften. Überdies komme überhaupt nur eine sich jährlich verringernde Anzahl von Hauseigentümern in den Genuss einer Deckung für sogenannte Elementargefahren, da die Zeichnungsrichtlinien der Gesellschaften immer restriktiver würden.

Und ihm fallen spontan auch Fälle ein, in denen die Versicherer in dieser Sparte langsam und bürokratisch agiert haben. Mitunter vergehen Monate, bis Geschädigte überhaupt Geld bekommen. Das passiert insbesondere dann, wenn irgendwo Fehler gemacht wurden. Dann beauftragen Versicherer gerne ein Gutachten nach dem anderen.

Auch Versicherungsberaterin Angela Baumeister hält die unbürokratische Flutopferhilfe für ein schlechtes Beispiel. Denn hier schaue die Öffentlichkeit hin. Was schlechte Presse bewirken könne, habe ja der Versicherer Axa bei der Regulierung zur Loveparade in Duisburg hautnah erlebt. Das versuchten Versicherer natürlich weitestgehend zu vermeiden.

Die Retourkutsche komme dann aber hinterrücks, stellt die Branchenkennerin Baumeister fest. Denn derzeit seien viele Gebäudeversicherer unterwegs und würden ihre Beiträge stark anheben. Die Versicherer pochten auf Vertragsänderungen und sprächen schlimmstenfalls sogar fristgerechte Kündigungen aus.

Fazit: Das Beispiel ist schlecht gewählt. Der Punkt geht an die Opferschützer.


These 3: „500 Millionen Euro pro Tag leistet die Branche.“

Die Versicherer verweisen in der Debatte gerne darauf, wie viele Kunden sie mit Geld beglücken und welch gewaltige Summen sie auszahlen, wenn Schäden entstanden sind. „Wir reden immerhin von 23 Millionen Schadenfällen, die die deutsche Versicherungswirtschaft im Jahr reguliert“, stellte Rollinger fest. „Jeder dritte erwachsene Bürger ist immerhin privat oder beruflich mit einem Schadenfall betroffen, 500 Millionen Euro pro Tag werden von der Versicherungswirtschaft geleistet.“

Diese Zahlen beeindrucken die Opferschützer dagegen überhaupt nicht. Sie halten solche Geldströme für wenig aussagekräftig. Dadurch werde nur das eigentliche Problem verschleiert. Denn in diesen gewaltigen Zahlen gehen die Schicksale und die Menschen unter, um die es ihnen geht und für die sie Verbesserungen erreichen wollen.

„Die Masse der Fälle sind kleine Fische mit geringen Regulierungssummen, wie kaputte Autos oder Glasscheiben“, stellt Michael Bittner vom Unfallopfer-Hilfswerk daher auch fest. Bei einem Unfall mit Querschnittslähmung und Einzelschäden über 100.000 Euro sehe das Verhalten der Versicherer ganz anders aus.

Kleine Schäden würden zudem schnell beglichen, auch weil eine aufwändige Prüfung für den Versicherer oft teurer sein dürfte als die Regulierung, stellt die Rechtsanwältin Jana Meister fest. Wenn es jedoch um große Summen gehe, versuchten die Versicherer, alle Register zu ziehen, um nicht leisten zu müssen.

Nach der Erfahrung von Rechtsanwalt Hennemann ist kaum etwas weniger aussagekräftig als die von Versicherern zu ihren angeblichen Regulierungsverhalten aufgestellte Statistiken. Die Branche werde nicht müde, die Legende von einem angeblichen Millionenheer ausnahmslos zufriedener Versicherungsnehmer und Geschädigter aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln.

Fazit: Die Zahlen der Versicherungsbranche sind beeindruckend. Sie belegen deren wirtschaftliche Macht. Sie tragen jedoch nichts zur Lösung des Problems bei, um das es den Opferschützern geht. Der Punkt geht daher erneut an Anwälte und Berater.


These 4: „Ein komplizierter Schaden kann natürlich länger dauern.“

Opferschützer bemängeln, dass die Versicherer die Bearbeitung von Personenschäden oft unnötig lange hinauszögern. Rollinger verteidigt dies so: „Die Schadenbearbeitung hängt natürlich sehr stark an der Komplexität der Schäden. Ist es ein einfacher Glasschaden, geht’s ganz schnell, dann gibt’s das Geld auch in ein paar Tagen. Ist es ein komplizierter Schaden mit verletzten Personen, dann kann es natürlich länger dauern.“

Rechtsanwalt Hennemann sieht dies völlig anders. „Bei substanziellen Schäden stellt sich nicht die Frage des Ob, sondern lediglich des Wie einer intensiven und streitigen Auseinandersetzung“, stellt er fest. Soweit der GDV im Bereich von Personenschäden meine, dass Verzögerungen geradezu „in der Natur der Sache“ lägen, gehe auch dies fehl.

Tatsächlich lägen die Verzögerungen im Bereich von Personenschäden daran, dass Versicherer ein angebliches Mitverschulden des Opfers systematisch ins Blaue hinein behaupteten. Dies habe zur Folge, dass allein die gutachterliche Beweiserhebung zu dieser Behauptung zwei Jahre dauern kann.

Daneben würden regelmäßig sämtliche medizinischen und wirtschaftlichen Beeinträchtigungen von den Versicherern bestritten. Die Folge: Auch in diesen Bereichen müssten ausnahmslos Beweise von Sachverständigen erhoben werden. Und das sei selbst dann nötig, wenn der Einwand des Versicherers an Inhaltsleere kaum mehr zu überbieten ist.

Versicherungsberaterin Baumeister stellt darüber hinaus fest, dass viele Kunden überfordert sind, schon wenn sie Anträge stellen müssten. Es kämen dann von den Unternehmen mehrseitige Erhebungsbögen, Entbindungserklärungen, Aufklärungsbögen und weiteres. „Hier kann man als Laie sehr viel falsch machen, was dann dem Versicherer die Tür öffnet“, warnt Baumeister. „Und meine Praxiserfahrung ist, dass die Versicherer gerne durch diese offene Tür gehen.“

Zum Beispiel so: „Bei der Anforderung von Unterlagen ist es ein beliebtes Spiel, diese nur kleckerweise anzufordern“, berichtet Anwältin Meister. Mandanten seien oft damit beschäftigt, über Monate immer neue Dokumente vorzulegen. „Unberechtigte Leistungsablehnungen, ungebührliche Leistungsverzögerungen, mangelhafte Gutachten, damit habe ich tagtäglich zu tun“, ergänzt Beraterin Baumeister.

Fazit: Verzögerungen kommen aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder vor. In vielen Fällen ist das für Betroffene unzumutbar. Mehr Fingerspitzengefühl von Sachbearbeitern der Versicherungswirtschaft wäre wünschenswert.


These 5: „Wir handeln als Verwalter der Versichertengemeinschaft“

„Selbstverständlich müssen wir grundsätzlich bei den Schäden prüfen, ob die Ansprüche berechtigt sind, denn wir handeln ja als Treuhänder, als Verwalter der Versichertengemeinschaft“, sagt Versicherungsmanager Rollinger. „Und wir müssen dafür sorgen, dass nur berechtigte Ansprüche bezahlt werden, denn sonst würden sich ja automatisch die Prämien erhöhen. Jedenfalls: Es kann sich jeder darauf verlassen, dass er zügig und unbürokratisch einen berechtigten Schaden bezahlt bekommt.“

Das Argument, dass man die Versichertengemeinschaft vor nicht berechtigten Ansprüchen schützen müsse, weil sonst die Prämien steigen, sei sicher richtig, räumt Anwältin Meister ein. Aber der Versicherer müsse die Versichertengemeinschaft auch dann im Blick haben, wenn er Verfahren unnötig führe oder verzögere. Dann löse der Versicherer auch Kosten aus, die am Ende die Versichertengemeinschaft tragen müsse.

Bei der Geltendmachung von Schäden, gerade im Bereich Berufsunfähigkeit und Unfall, gebe es viele Stolperfallen. Diese seien den Kunden, aber auch vielen Maklern, nicht bekannt. „Hier würde ich allen Versicherungsnehmern raten, sich bei einem Schadensfall zeitnah von den Verbraucherzentralen oder einem Rechtsanwalt beraten zu lassen“.

Auch Versicherungsberaterin Baumeister beurteilt das tatsächliche Verhalten im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung als ungerechtfertigt. „Es wird in extenso geprüft, bis der Versicherte entnervt aufgibt“, stellt sie fest. Auch die Ablehnungsschreiben seien teilweise in einem derart abweisenden Tonfall verfasst, dass der Versicherte es gar nicht wage, sich dagegen zu wehren.

Das liege natürlich daran, dass die Versicherer das Personal sehr wohl ausgewählt und geschult hätten. Die Ablehnungsschreiben seien sehr eloquent und durch Angaben der Gesellschaftsärzte untermauert. Einem Versicherten, der ohnehin schon krank und am Boden ist, falle es da „enorm schwer, etwas entgegenzuhalten“.

Anwalt Hennemann hält das Interesse der Versichertengemeinschaft für vorgeschoben. „Tatsächlich fühlen sich die operativen Bereiche der Versicherungswirtschaft lediglich einem einzigen Interesse verpflichtet, und zwar dem der Eigner und Aktionäre“, glaubt der Anwalt.

Fazit: Die tatsächlichen Erfahrungen von Anwälten und Beratern sind völlig anders als das Selbstverständnis, das die Versicherungsbranche öffentlich vermitteln möchte. Punkt für die Opferschützer.


These 6: „90 Prozent der Kunden sind sehr zufrieden.“

Rollinger: „Jeder Versicherer befragt seine Kunden, wie zufrieden  siemit der Schadenregulierung sind. Das Ergebnis ist sehr positiv: 90 Prozent sind sehr zufrieden, in 28 Prozent der Fälle ist durch einen Kontakt zum Versicherer schon der Schadenfall erledigt und der Kunde erhält in wenigen Tagen sein Geld. Ich glaube, das spricht für die Leistungsfähigkeit der deutschen Versicherungswirtschaft.“

Solche Zahlen sind wenig aussagekräftig, weil sie das Gefühl für den Einzelfall nehmen. Michael Bittner vom Unfallopfer-Hilfswerk nimmt die Zahlen auseinander. Wenn bei 23 Millionen Fällen 90 Prozent zufrieden seien, so seien es 2,3 Millionen Anspruchsteller wohl nicht. Eine beträchtliche Anzahl, findet er.

Wenn dann tatsächlich 0,6 Prozent der Fälle durch ein Gericht geklärt werden müssten, so seien das 156.000 Anspruchsteller. Als absolute Zahl sei das doch schon eine ziemliche Nummer, hinter der immer ein einzelnes Schicksal stecke. Interessant wäre es zu wissen, wie lange diese Verfahren laufen und wie hoch die Vergleichsquote sei.

Hinsichtlich der Kundenzufriedenheit stelle sich natürlich die Frage, welche Kunden man da befrage, stellt Anwältin Hüller fest. Letztlich seien die Kunden am Ende des Tages zufrieden, wenn sie eine Leistung sehen – auch dann wenn nur ein Vergleich zustande gekommen ist und der Versicherer weniger zahlt als gefordert.

Ihrer Erfahrung nach sind ihre Kunden aber eigentlich nur deshalb zufrieden, weil sie es hinter sich haben und nicht deshalb, weil der Versicherer etwas zahlt. An irgendeiner Stelle sei es so, dass die Versicherten es nicht mehr aushalten. Ob dies im Sinne des Prinzips Versicherung sei?

Hüller verneint das: „Eigentlich haben die Kunden sich dafür versichert, dass sie das bekommen, was ihnen zusteht und nicht dafür, sich irgendwann einmal mit einer Abfindungszahlung abspeisen lassen zu müssen.“

Fazit: Viele zufriedene Kunden bedeuten nicht, dass es im Bereich der Erstattung von Berufsunfähigkeits- und Unfallversicherungen kein Problem gibt. Punkt geht an die Opferschützer.


These 7: „Die Beschwerden gehen zurück.“

„Jeder Kunde hat das Recht, sich kostenlos beim Ombudsmann oder der Bafin, der Finanzdienstleistungsaufsicht, zu beschweren. Seit Jahren stellen wir einen rückläufigen Beschwerdeeingang fest. Ich glaube, auch das spricht für die Qualität der Schadenregulierung und dass die Versicherer Wert darauf legen, den Kunden zufriedenzustellen, denn nur an zufriedene Kunden kann ich auch Versicherungen verkaufen.“

Rechtsanwalt Hennemann hält von dem Argument gar nichts. Es sollte nicht übersehen werden, dass auch der vielgerühmte Ombudsmann für das Versicherungswesen Teil eines vollständig intransparenten Gebildes sei. So werde zwar von Zeit zu Zeit mitgeteilt, ob und inwieweit sich die Anzahl von Beschwerden verändert habe. Doch das sage wenig aus.

Denn die beim Ombudsmann seit vielen Jahren vorliegenden, verdichteten Datensätze würden nur ansatzweise veröffentlicht. So wäre für Verbraucher interessant zu erfahren, wie sich die Beschwerdefrequenz gegenüber einzelnen Gesellschaften tatsächlich verändert habe und wie hoch beispielsweise die Beschwerdequoten bei Gesellschaften mit vergleichbarem Marktanteil sind.

Wenn die Versicherungsbranche mehr Transparenz wolle, läge nichts näher, als den Ombudsmann im Interesse der Verbraucher zu weitergehenden Veröffentlichungen zu ermächtigen. Er könne seinen langjährig verdichteten „Datenschatz“ möglicherweise sogar nach Sparten differenziert entsprechend abbilden.

Bezüglich der geringen Anzahl von Beschwerden beim Ombudsmann, hält Beraterin Baumeister entgegen: Dieser könne ja nur bis zu einem Beschwerdewert von 10.000 Euro verbindlich entscheiden. Die Fälle, wo es überdurchschnittlich häufig zu Problemen komme, lägen aber meist weit darüber.

Deshalb gehe in ihrer Kanzlei kaum ein Leistungsfall aus der Unfall- oder Berufsunfähigkeitsversicherung zum Ombudsmann. Bis zu einem Beschwerdewert von 100.000 Euro könne der Ombudsmann zwar eine Empfehlung aussprechen. „Aber das bringt den Versicherten im Zweifelsfall nicht weiter“, urteilt die juristisch geschulte Versicherungsberaterin Baumeister.

Fazit: Der Ombudsmann kann den meisten Unfallopfern, die für ihre Rechte kämpfen, wohl kaum weiterhelfen. Auch dieser Punkt geht an die Opferschützer.


These 8: „Vor Gericht wird zugunsten der Versicherer entschieden.“

„Natürlich steht der Rechtsweg jedem offen“, sagt der Versicherungsmanager Rollinger. „Wir haben aber auch festgestellt, dass nur 0,6 Prozent aller Schadenfälle – also von diesen 23 Millionen – dann vor dem Richter landen. Und auch da muss man sagen, wird überwiegend zugunsten der Versicherer entschieden. Also es kann keine Rede davon sein, dass die Kunden systematisch benachteiligt werden.“

Das Argument ist interessant. Es lautet: Weil die Richter zugunsten der Versicherer entscheiden, werden Kunden nicht systematisch benachteiligt. Anwälte, Berater und Opferschützer sehen das Problem dagegen vorher. Oft wissen Kunden nicht, was sie tun sollen. Deshalb verhalten sie sich im Vorfeld ungeschickt und tappen in die Falle. Vor Gericht hat dann der Versicherer die besseren Karten.

Ein Beispiel dafür nennt die Rechtsanwältin Maria Risch von der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Ihr Beispiel ist die „Berufsunfähigkeit“, also jener Versicherungsbereich, in dem viele Betroffene immer wieder erbittert gegen die Ablehnungen der Versicherer kämpfen. Die Durchsetzung gehe nicht immer reibungslos über die Bühne

In der Regel überprüfe der Versicherer als erstes, ob bei Abschluss des Vertrages bereits Vorerkrankungen vorlagen, von denen er keine Kenntnis hatte. Der Versicherungsnehmer bejaht, er habe alle Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß beantwortet und nennt den Vermittler als Zeugen. Der hat jedoch womöglich gar nicht so genau hingeschaut, weil er seine Provision einstecken wollte.

Denn wenn der Kunde mehr Vorerkrankungen nennt, riskiert der Vermittler womöglich eine Ablehnung oder hohe Risikoaufschläge. Die Probleme hat der Kunde jedoch erst, wenn es zu spät ist: „Wenn der Gesundheitsfragebogen nicht wirklich vollständig ausgefüllt wird, weil der Vermittler unter allen Umständen einen Abschluss erzielen will, hat der Versicherungsnehmer im Versicherungsfall möglicherweise das Nachsehen“, betont die Fachanwältin.

Dies ist nur ein Beispiel für mögliche Probleme im Leistungsfall. Josef Schön von der Interessengemeinschaft für Unfallopfer kennt auch die Fälle, in denen die Kosten von körperlichen Schäden auf die Versichertengemeinschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung abgewälzt werden sollen.

Oft nutzten die Versicherer ihre finanzielle Macht und ihren Zugriff auf die Sachverständigen aus, um sich vor Schadensregulierungen zu retten. Er will Interessenkonflikte und Abhängigkeiten von Gutachtern und Versicherern offenlegen. Sachverständige sollten daher spätestens vor Gericht angeben, ob sie mit einer Partei verbunden sind.

Fazit: Positive Gerichtsentscheidungen sprechen im Zweifel für die Cleverness der Sachbearbeiter in den Unternehmen.


Leiden, kämpfen und vielleicht gewinnen

Das Pro und Kontra von Versicherungs- und Opferschützerargumenten zeigt: Das Problem ist noch nicht vom Tisch. Es ist zwar unangemessen, die Versicherungsbranche mit einem Generalverdacht zu belegen. Doch die Argumente der Opferschützer zeigen, dass die Verteidigungsstrategie der Branche am Thema vorbei geht und wohl eher auf eine allgemeine Imagebildung in der Öffentlichkeit abzielt.

Dass es viele Unfallopfer ohne Geldzahlungen gibt, und dass sie leiden, kann nicht abgestritten werden. Allein beim Verein Subvenio in Düsseldorf gehen seit 2009 jährlich rund 500 Anfragen von Betroffenen ein. Diese benötigten Hilfe, weil die Versicherung des Unfallverursachers den Schaden nicht oder nur unzureichend reguliere. „Hier kann somit nicht von Einzelfällen gesprochen werden“, stellt die Vorsitzende Stefanie Jeske fest.

Anwältin Hüller findet, dass Stellungnahmen wie jene des Versicherungsmanagers Rollinger „weit entfernt von der Realität“ sind. Der Manager sei eingeladen, sich mal in ihrer Kanzlei Akten anzuschauen, damit er ein besseres Bild von der Wirklichkeit erhalte.

Anwältin Meister wundert sich überdies über den Zynismus, mit dem ihr manchmal die Anwälte der Branche gegenübertreten. „Der Tonfall ist vor und während der Gerichtsprozesse nicht immer angemessen und soll sicher dazu dienen, die Versicherungsnehmer einzuschüchtern“, stellt sie fest.  „Und einmal habe ich während eines Prozesses von einem gegnerischen Rechtsanwalt zu hören bekommen, dass sich das Problem ja auch vielleicht durch Zeitablauf lösen würde.“

Es ging dabei um die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente für einen unheilbar erkrankten Mandanten. „Wir haben in erster und zweiter Instanz gewonnen“, stellt Meister fest.