Wer zu lang streitet, der zahlt drauf

Sonntag, den 01. August 1999 um 00:00 Uhr Administrator
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Wer zu lang streitet, der zahlt drauf

Verzögern Haftpflichtversicherer die Entschädigung, kann es für sie teuer werden.

Von Jürgen Hennemann

Erschienen in der Welt am Sonntag vom 01.08.1999

Hamburg - Die Gerichte stärken die Stellung der Verbraucher gegenüber den Versicherungen: Haftpflichtversicherer, die Zahlungen gegenüber Geschädigten unberechtigt verzögern oder gar ablehnen, müssen damit rechnen, dass ein höheres Schmerzensgeld fällig wird. Den Geschädigten werden oftmals jahrelange Prozesse zugemutet – die Versicherer rechtfertigen sich, sie hätten die Sach- und Rechtslage unzutreffend eingeschätzt. Diese Begründung wird von den Gerichten immer weniger akzeptiert.

So hat das Oberlandesgericht Schleswig in einer erst kürzlich veröffentlichten Entscheidung (Az: 4 U 211/92) einem heute 13jährigen Jungen neben einer monatlichen Rente ein Schmerzensgeld in Höhe von 250 000 Mark zugesprochen. Nach Ansicht des Gerichts führten grobe Behandlungsfehler während der Entbindung nachweislich zu einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns. Das Kind ist seit seiner Geburt schwerbehindert, wird niemals sprechen können und muss auf Lebenszeit über eine Sonde künstlich ernährt werden. Das Schmerzensgeld war unter anderem deswegen so hoch, weil das verklagte Krankenhaus, vertreten durch seinen Haftpflichtversicherer, dem Geschädigten trotz eines erwiesenen Kunstfehlers einen jahrelangen Rechtsstreit zugemutet hat.

In einem weiteren Fall sprach das Oberlandesgericht Nürnberg (NZV 1998, 414) einem Unfallopfer mit gleicher Begründung ein erhöhtes Schmerzensgeld von 150 000 Mark zu. Dort musste dem Kläger nach einem Verkehrsunfall noch am Unfallort ein Bein amputiert werden, und das Ellenbogengelenk blieb nach einem offenen Trümmerbruch dauerhaft steif. Die beklagte Kfz-Versicherung entschädigte den Kläger zunächst außergerichtlich mit pauschal 40000 Mark und vertrat die Ansicht, dies sei ausreichend. Weitergehende Zahlungen verweigerte der Haftpflichtversicherer über mehrere Jahre mit der Behauptung, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt einen Blutalkoholgehalt von 0,5 bis 0,8 Promille aufgewiesen habe. Amtliche Ermittlungen dagegen kamen zu dem Ergebnis, dass der Alkoholanteil lediglich bei 0,01 bis 0,03 Promille gelegen hatte. Später forderte der Versicherer die bereits gezahlten 40000 Mark auch noch mit einer eigenen Klage von dem Geschädigten zurück.

Das Oberlandesgericht Nürnberg begründete die Bemessung des Schmerzensgeldes im Einklang mit einer früher ergangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz (VersR 1989, 629) unter anderem damit, dass das Verhalten des beklagten Kfz-Versicherers dem Geschädigten „weitere seelische Beeinträchtigungen“ bescherte. Zudem verwies das Oberlandesgericht in seiner Begründung auf eine bereits 30 Jahre alte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH VersR 1970, 134). Demnach sei es zwar durchaus zulässig, dass sich Versicherer gegen Forderungen zur Wehr setzen und deren Berechtigung gerichtlich überprüfen lassen. Gleichzeitig vertrat das oberste Zivilgericht jedoch die Ansicht, dass derjenige, der eine unzutreffende Rechtsansicht über längere Zeit aufrechterhält und letztlich vor Gericht verliert, für die sich darauf ergebenden Konsequenzen einzustehen habe.

Im Interesse der Geschädigten wäre es zu begrüßen, wenn sich die eindeutige Rechtsprechung der Obergerichte, die im Regelfall erst nach vier bis sechs Jahren ergeht, auf breiter Front bereits bei den erstinstanzlichen Gerichten durchsetzen würde. Auf diese Weise wären diejenigen Haftpflichtversicherer, die den Faktor Zeit noch immer gegen die Geschädigten einsetzen, gehalten, ihre Politik der Entschädigungsblockade aufzugeben. Keinesfalls sollte es für Haftpflichtversicherer weiterhin wirtschaftlich sinnvoll erscheinen, statt einer schnellen Entschädigung der Opfer die hierfür vorgesehenen Gelder im eigenen Ertragsinteresse häufig über Jahre an den internationalen Finanzmärkten zu investieren.

Der Autor ist Rechtsanwalt in Buchholz bei Hamburg, Schwerpunkt Haftungs- und Versicherungsrecht


Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 28. September 2011 um 19:38 Uhr