Sonntag, den 13. Januar 2002 um 00:00 Uhr
Drucken

Assekuranz kehrt mit eisernem Besen

Nach dem Terroranschlag von New York hat die Branche radikale Änderungen in der Gewerbe- und Industrieversicherung vorgenommen.

Von Jürgen Hennemann

Erschienen in der Welt am Sonntag vom 13.01.2002

Berlin - Gegenwärtig sind grundlegende Veränderungen sowohl im Zeichnungsverhalten als auch in der Schadenregulierung der Gewerbe- und Industrieversicherer erkennbar. Verstärkt wird diese Tendenz durch die Ereignisse des 11. September 2001, die die internationalen Versicherer nach gegenwärtiger Schätzung mit Entschädigungssummen in Höhe von rund 50 Milliarden Dollar belasten.

Während sich einige Versicherer zwischenzeitlich ganz aus diesem Risikosegment zurückgezogen haben, verstärken die verbleibenden Versicherer nachhaltig den Prämien- und Zeichnungsdruck auf ihre Kunden. So wird unter dem anhaltenden Eindruck der Geschehnisse das Terrorismusrisiko grundsätzlich nicht mehr versichert, und selbst in den traditionellen Zeichnungssegmenten der gewerblichen und industriellen Sach- und Haftpflichtversicherung werden Policen vorsorglich gekündigt, um diese anschließend zu teils drastisch erhöhten Prämiensätzen neu zu verhandeln.

Offiziell begründet wird dies vorrangig mit den angeblich jahrelangen schlechten Schadenverläufen in diesen Risikobereichen sowie den ebenfalls erhöhten Prämienforderungen der Rückversicherer nach den Anschlägen in New York und Washington. Parallel dazu wird nunmehr auch die Schadenregulierung gegenüber den seit Jahrzehnten von der Assekuranz umgarnten Großkunden mit ungewohnter Härte betrieben.

Während diese Regulierungspraxis in der Privatkundenversicherung seit jeher gang und gäbe ist, empfinden die Gewerbe- und Industriekunden die merklich rauer werdende Gangart der Versicherer zumindest gegenwärtig noch als ungewohnt. War es für einen großgewerblichen oder industriellen Kunden in der Vergangenheit eher unbeachtlich, ob ein Schaden nach den Bedingungen seiner Police tatsächlich versichert war - gegenüber Kunden eines bestimmten Renommees und mit einem entsprechenden Prämienaufkommen galt es politisch fast als Sakrileg, nachhaltig über die Ersatzpflichtigkeit eines Schadens zu streiten - erhalten auch diese Kunden heute wie selbstverständlich Entschädigungsablehnungen ihrer Versicherer.

Diese halten es zwischenzeitlich sogar für opportun, gegen international ausgerichtete Kunden zeitgleich zu den Verhandlungen über die Prolongation von Versicherungsverträgen gerichtlich vorzugehen. So erachteten es beispielsweise zwei der führenden Transportversicherer als geschäftsüblich, ihren Versicherungsnehmer, seines Zeichens Weltmarktführer im Bereich der Logistik, nach einem durch einen krankhaften Serientäter begangenen Brandanschlag auf ein Speditionslager regressseitig vor dem zuständigen Landgericht in Anspruch zu nehmen. Ermöglicht wurde den Gewerbe- und Industrieversicherern dieses geänderte Marktverhalten durch den sukzessive enger gewordenen Versicherungsmarkt, der sich in den vergangenen fünf Jahren dramatisch von einem Anbieter- zu einem Nachfragemarkt entwickelt hat.

So sind 125 Jahre alte renommierte Risikoträger wie unter anderen die Colonia, Albingia oder Nordstern Versicherung durch Übernahmen ganz vom Markt verschwunden, während sich von den verbleibenden Anbietern einige ganz aus dem risikoträchtigen Geschäft, insbesondere der Industrieversicherung, zurückgezogen haben. Daneben wird selbst bei Branchenführern zwischenzeitlich offen darüber diskutiert, sich vom klassischen Industrieversicherer zu einem reinen Vorsorgeversicherer zu wandeln. Naturgemäß sind die kurzfristigen Reaktionsmöglichkeiten des Marktes auf das veränderte Anbieterverhalten jedoch begrenzt: Viele namhafte Versicherte sehen sich daher gegenwärtig mit der Frage konfrontiert, ob sie von der Tradition, nach der sich ein deutsches Unternehmen fast naturgesetzlichen Regeln folgend auch bei einem deutschen Risikoträger zu versichern hat, Abschied nehmen sollen. In Industrie und Gewerbe wird daher mit gutem Grund überlegt, die aus internationalen Zusammenschlüssen resultierenden Synergien auch auf die Auswahl des Versicherers oder präziser, des Versicherungsmarktes, wirken zu lassen.

Als vorrangige Alternative dürfte dabei dem englischen Versicherungsmarkt und hier wiederum Lloyd's of London traditionell ein Hauptaugenmerk zukommen. Daneben ist in Kenntnis der härteren Schadenregulierung der Versicherer, die zumindest in der Industrieversicherung über Jahrzehnte übliche Regulierungsgeschenke ersetzt, sicherzustellen, dass die Versicherungsverträge risikogerecht abgeschlossen werden. Dies gilt insbesondere für die Bildung der Versicherungssummen, um der versichererseitig beliebten Unterversicherungseinrede entgegenzuwirken. Daneben sollten begründete Forderungen nach rechtswidrigen Entschädigungsablehnungen ohne verklärte Rücksichtnahme auf die Geschäftsverbindung, die bei den Versicherern erkennbar eine immer untergeordnetere Rolle spielt, in Abstimmung zwischen Vermittlern und Anwälten konsequent gerichtlich geltend gemacht werden. Bei einer immer geringer werdenden Anzahl bereitwilliger Risikoträger dürfte diese eigentlich selbstverständlich erscheinende Reaktion für bestimmte Vermittler, die auf den täglichen Goodwill ihrer Assekuranzpartner angewiesen sind, jedoch eine nicht unerhebliche Hürde darstellen. Andererseits werden sich aber auch Teile der versicherungsrechtlich ausgerichteten Anwaltschaft zu entscheiden haben, ob sie ihre Kräfte in einem enger werdenden Markt in die Dienste der Versicherer oder der Geschädigten stellen wollen, da andernfalls eine zunehmende Interessenkollision kaum zu verhindern sein dürfte.

Der Autor ist Rechtsanwalt in Buchholz bei Hamburg, Schwerpunkt Haftungs- und Versicherungsrecht