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Das Rüstzeug für den Kampf um Schadenersatz

 Mit Hinweis auf das Kleingedruckte versuchen Unfall-Versicherer, Leistungen zu verweigern.

Von Jürgen Hennemann

Erschienen in der Welt am Sonntag vom 30.01.2000

Hamburg - Unfallversicherer geraten immer häufiger ins Kreuzfeuer der Kritik. Einigen Unternehmen werden sogar zweifelhafte und unseriöse Geschäftspraktiken vorgeworfen. Ursache sind oft die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB), deren Inhalt für die Versicherten kaum zu verstehen sind.

Beispiel: Einem Pädagogen, der sich bei einem Sturz während des Schuldienstes schwere Hirnverletzungen zugezogen hatte, wurden rund 200 000 Mark Abfindung verweigert. In der Begründung des Versicherers hieß es, die 15-Monats-Frist, in der die unfallbedingte Invalidität von einem Arzt hätte festgestellt und mitgeteilt werden müssen, sei um 14 Tage überschritten worden. Selbst nachdem der Chefarzt und ärztliche Direktor der Klinik eine fristgemäße Feststellung der Invalidität bestätigt hatte, hielt die Gesellschaft ihre Ablehnung aufrecht. Auch durch die nachhaltigen neurologischen und psychologischen Beeinträchtigungen des Unfallopfers ließ sich der Versicherer nicht umstimmen. Das Unternehmen verteidigte sein Vorgehen mit einer angeblich eindeutigen Rechtsprechung zum Leistungsausschluss bei Überschreitungen der Frist.

Unfallversicherer zeigen auch wenig Kulanz, wenn es um eine mögliche Vorinvalidität geht. In der Regel handelt es sich dabei um körperliche Beeinträchtigungen, die unabhängig vom Versicherungsfall bereits bestanden haben. Laut Vertrag können unfallbedingte Vorerkrankungen mit der Entschädigung verrechnet werden. Es ist daher kein Wunder, dass so mancher Versicherer mit der Lupe nach solchen Handicaps sucht. Darüber hinaus bedienen sich die Versicherungen ärztlicher Gutachter, die sie nach den Bedingungen des Versicherungsvertrages ausschließlich selbst auswählen.

Auf Kritik stößt auch die Methode, dass manche Unfallversicherer immer wieder mit den gleichen Gutachtern kooperieren. Diese „neutralen“ Experten arbeiten teilweise in Instituten, die von den Versicherungsgesellschaften selbst gegründet wurden. Deshalb wird eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Fachleute vermutet.

So wird besonders bei älteren Menschen, die sich an ihren Gelenken verletzt haben, stets nach einer altersbedingten Arthrose gesucht. Das gilt auch für jüngere Unfallopfer, die in ihrem Leben intensiv Sport betrieben haben. Häufig werden bei diesen Versicherten Knorpelschäden diagnostiziert, die sich für den Unfallversicherer entschädigungsmindernd auswirken.

Fußballprofis haben es da besser. Ihre versierten Manager sorgen dafür, dass bestimmte Klauseln in den Verträgen den Versicherern verbieten, sich im unfallbedingten Invaliditätsfall auf eine bestehende Vorinvalidität zu berufen. Geschädigte ohne Lizenzspieler-Status stehen in jedem Falle schlechter da. Beispielsweise lehnen die Versicherungen Vorschüsse der Invaliditätsentschädigung häufig ab, solange Gutachter den Fall prüfen – obwohl sie dazu nach den Bedingungen verpflichtet sind. Die Assekuranzen reden sich dann häufig mit dem Argument raus, dass der unfallbedingte Invaliditätsgrad den prozentualen Grad der Vorinvalidität womöglich nicht übersteigt.

Regelmäßig sind es vor allem Senioren, die die Leistungsmitteilung ihres Unfallversicherers als wahres Schockerlebnis empfinden. So erhält beispielsweise ein 66-jähriger Mann, der eine Unfallversicherung über 200 000 Mark abgeschlossen hat, nach dem Verlust eines Beines statt einer nach der so genannten Gliedertaxe zu berechnende Kapitalabfindung in Höhe von 140 000 Mark nur eine dürftige Monatsrente. Nach den Versicherungsbedingungen besteht sein Pech darin, dass sich Kapitalabfindungen nach dem 65. Lebensjahr zu Gunsten der Versicherer in monatliche Rentenbeiträge umwandeln.

Kein Wunder, dass sich einige Unfallversicherer besonders Senioren als Zielgruppe ausgesucht haben. Sie haben in diesem Marktsegment prächtige Aussichten. Mit einer Schadenquote von weniger als 50 Prozent zählt sie zu den ertragsstärksten Sparten aller Schadenversicherungen. Vom erzielten Prämienaufkommen fließt somit nicht einmal die Hälfte an die Versicherten zurück, worauf die Kollegen aus der Industrie- und der Kraftfahrtversicherung nur neidvoll blicken können.

Unfallversicherte sollten sich am Markt nach innovativen Versicherungsprodukten umsehen oder unmittelbar nach Eintritt eines Leistungsfalles unabhängigen und fachkundigen Rat einholen.

Der Autor ist Rechtsanwalt in Buchholz bei Hamburg, Schwerpunkt Haftungs- und Versicherungsrecht.